Was macht eigentlich ein Übersetzer?


Ein Übersetzer ist tatsächlich ein Über-Setzer, ein Fährmann. Er bringt Menschen durch seine Arbeit von einer Seite zur anderen, von einer Kultur in eine andere. Ob es sich dabei um technische Handbücher oder literarische Werke handelt, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Immer muss der Übersetzer beide Sprachen gut kennen, und natürlich auch das zu übersetzende Thema verstehen und wiedergeben können.

Es gibt nicht viele Leute, die beides können. Wer ein Fachgebiet gut gelernt hat, wird meistens als Fachmann in seinem Gebiet arbeiten. Wer Sprachen gut kennen will, sollte neben dem Studium als solchem am besten einige Zeit in dem jeweiligen Land verbringen, sodass eigentlich nicht viel Zeit für das gründliche Erlernen eines Fachgebiets bleibt. Wer nimmt sich schon die Zeit für mehrere Ausbildungen und opfert die dafür erforderlichen Ressourcen? Dies ist für das Übersetzen aber unerlässlich und verlangt daher ein besonderes Interesse und einen besonderen Einsatz, ob nun während der Ausbildung oder hinterher. Daher sind gute Fachübersetzer eine gesuchte Spezies.

Übersetzer sind wichtig für die Welt. Zum Beispiel haben die Araber durch die Weitergabe von damals hochentwickelten Schriftwerken einen wesentlichen Anteil daran gehabt, Europa aus dem mittelalterlichen Obskurantismus zu reißen, und dafür musste natürlich auch viel übersetzt werden. Wer sich mit Medizin- oder ganz allgemein Wissenschaftsgeschichte beschäftigt, findet immer wieder Hinweise auf derartige Vorgänge. Übersetzer sind auch wichtig, um ganz allgemein fremde Kulturen kennen zu lernen. Wenn die Völker sich nicht gut genug kennen, können sie von bösartigen oder ignoranten Menschen leichter in einen Krieg hineinmanipuliert werden. Wenn sie aber durch den Kontakt miteinander gelernt haben, dass sie über die verschiedenen Kulturen hinweg eine gemeinsame, fundamentale Identität, nämliche die des Menschseins, haben, sind derartige Manipulationen viel schwieriger. Daher sind Übersetzer wichtig, um eine friedlichere Welt aufzubauen.

Was für Völker gilt, gilt natürlich auch für Individuen. Wie viele Konflikte entstehen nur aufgrund von Missverständnissen oder unzureichender Kenntnis des Konfliktpartners! Da ist es dann wichtig, zuhören zu können, sich in den anderen hineinzuversetzen, seine Sichtweise der Dinge zu verstehen, um dann, durch das Bemühen um das Verstehen intelligenter geworden, mit einem umfassenderen Gesamtbild den Konflikt zu lösen. Für den anderen aufmerksam sein, sich in den anderen hineinversetzen, verstehen, und dann sinnvoll zu handeln, das ist ganz einfach not-wendig, um die Menschen zu lieben. Diese Fähigkeiten werden auch beim Übersetzen benötigt, um die Ausgangstexte korrekt zu verstehen und eine angenehme und zweckdienliche Übersetzung zu erstellen. Übersetzen, Menschenkenntnis und Nächstenliebe sind daher eng miteinander verwandt.

Menschen, die viel gereist sind, haben auch meist einen weiteren Horizont, was die Menschen angeht. Meistens sind sie weniger kleinlich, verzeihen eher mal angebliche "Fehler" (die oft nur Vorurteile der eigenen "Kultur" sind), weil sie anhand der Kenntnis der oft starken Unterschiedlichkeit der Kulturen leichter sehen, wo das Wesentliche des Menschen liegt. Ein Übersetzer ist ein wenig wie ein Reisender, indem er auf seiner Reise in die Texte anderer Kulturen diese, wie Marco Polo seine neuartigen Handelsgüter, in die eigene Kultur mit zurückbringt. Wie oft wünscht man sich als Übersetzer aber auch, dass es mehr gemeinsame Terminologien für die Dinge gibt! Jeden Tag kämpft man mit der babylonischen Sprachverwirrung...

Ich als Übersetzer möchte nun dazu beitragen, meinen eigenen Beruf überflüssig zu machen. Warum das, wird sich mancher überraschte oder gar schockierte Leser nun fragen?

Weil ich meine Arbeit letztlich als eine Art Notverband für eine Wunde ansehe, die eigentlich besser heilen sollte. Sie wird erst geheilt sein, wenn die Menschheit es endlich geschafft hat, eine Sprache zu finden, die alle Menschen sprechen, die sie möglichst von Kindesalter an wie eine Muttersprache lernen. Dann nämlich braucht man gar keine Übersetzer mehr, um sich zu verstehen, und dann können alle Menschen ohne große sprachliche Probleme direkt miteinander kommunizieren.

Das Übersetzen ist schon eine recht große Mühe, und somit auch ein recht hoher finanzieller Aufwand. Dies wiederum verhindert ein umfangreicheren Kontakt der Völker, weil mangels Ressourcen weniger Werke der jeweiligen kulturellen Schätze miteinander ausgetauscht werden können.

Eine gemeinsame Sprache schließt die Existenz weiterer Sprachen natürlich nicht aus. Eine solche gemeinsame Sprache kann auch Wörter und Ausdrücke vieler anderer Sprachen in sich aufnehmen und so durch diese bereichert werden, was ein ganz natürlicher Vorgang ist, wenn Menschen verschiedener Kulturen miteinander in intensivem Kontakt stehen. So kann sie mit der Zeit zu einer wirklichen Einheitssprache werden, in der alle sich wohlfühlen.

Mein eigentliches Ziel als Übersetzer ist, die Menschen einander näher zu bringen, ihnen zu helfen, einander zu verstehen, um sich besser lieben zu können, um einander besser kennen zu lernen, um sich untereinander besser zu helfen, um leichter Güter auszutauschen und somit ihre Kreativität und ihre Sorge füreinander zu teilen. Wozu sonst diente der Handel, warum sonst sollte irgend jemand irgendwo auf der Welt mein Produkt kaufen, wenn es ihm nicht nützt, wenn ich mich nicht um sein Wohlergehen sorge, wenn mein Produkt nicht in Materie gegossene Nächstenliebe für ihn wäre?

Hinzu kommen natürlich alle persönlichen Kontakte der Menschen untereinander. Wie oft kommt es vor, dass angebliche Feinde einander selbst in Kriegen spontan lieben lernen und sich daraufhin vermählen! (Ein Albtraum für die Kriegstreiber, diese Verzweifelten, die nur noch an Gewalt als Lösung glauben!) Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig die Kontakte der Menschen untereinander sind.

Mein Ziel ist es also, daran mitzuwirken, weltweit eine glücklichere Zukunft aufzubauen, und darum kann ich als Übersetzer erst zufrieden sein, wenn alle Menschen zumindest eine gemeinsame Sprache sprechen, die ihnen dies ermöglicht.

Aus diesen Gründen bin ich auch der Meinung, dass jeder Übersetzer, der seine fundamentale Aufgabe ernst nimmt, sich diesem Ziel nicht wirklich verschließen kann und daher das Seine dazu betragen sollte. Wegen der grundsätzlichen Nähe der Übersetzungsarbeit zu den oben beschriebenen, fundamental wichtigen menschlichen Gegebenheiten, und wegen der konkreten beruflichen Tätigkeit im sprachlichen Gebiet, und weil man als Übersetzer bei einem solchen Projekt nicht irgendwelcher egoistischen Eigeninteressen verdächtigt werden kann, kann man dieses Ziel einer gemeinsamen Sprache für die Menschheit als Übersetzer besonders glaubwürdig vertreten.

Ich persönlich habe keine Angst davor, deswegen meine Arbeit zu verlieren. Ich bin davon überzeugt, dass es in einer solchen Welt -- und auch schon in einer Welt, die sich auf den Weg zu einem solchen Ziel macht -- noch viel mehr Möglichkeiten als heute gibt, einen sinnvollen Beitrag zur menschlichen Gemeinschaft zu leisten und somit seinen Unterhalt zu verdienen. Und als Mensch, der das Leid dieser Welt sieht, bin ich es meinen Mitmenschen einfach schuldig, die Liebe der Menschen füreinander auf allen Gebieten, auf denen dies möglich ist, zu fördern.

Peer Janssen,
7. Nov. 2003


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